Interview mit Martin
Wie bist Du denn auf die Idee gekommen, nach Estland zur GEN conference zu fahren?
Also ich glaube, ich hatte letztes Jahr schon die Idee dazu.
Wir haben ja, im Rahmen der Circle-Way-Filmherstellung, viele Gemeinschaften besucht und da auch viele Leute kennengelernt. So haben wir davon erfahren, dass es diese Bewegung gibt, die sich “Global Ecovillage Network“ nennt. Dieses Netzwerk verbindet viele Gemeinschaften und Ökodörfer weltweit miteinander. Und da gibt es den Ableger in Europa, GEN Europe, welcher diese Konferenz ausgetragen hat. Die Konferenz findet jährlich in einer anderen Gemeinschaft in Europa statt.
Kannst Du bitte einmal kurz erklären, was GEN überhaupt ist?
GEN, das Global Ecovillage Network, ist eine Nicht-Regierungsorganisation die, wie gesagt, Gemeinschaften weltweit miteinander vernetzt und dafür verschiedene Werkzeuge besitzt. Sie nutzen in ihrer Arbeit die vier Säulen der Nachhaltigkeit. Das heißt, dass eine nachhaltige, regenerative Entwicklung auf vier Säulen basiert. Diese vier Säulen sind:
1) Das Soziale = Beschäftigt sich mit Fragen, wie wir miteinander umgehen oder wie wir zusammen leben. Auf dem Feld betreiben Gemeinschaften sehr viel Forschung. An dieser Stelle berühren wir auch wieder das Thema Kreiskultur oder Kreismethoden. Es sind Menschen, die in Kreisen zusammen leben und eine andere Form von Kommunikation haben – eine andere Redekultur und eine andere Feedback-Kultur.
2) Das Ökonomische = Befasst sich mit den wirtschaftlichen Themen, z.B. der Idee von Alternativ-Währungen, oder wie Gemeinschaften autark werden. Die Gemeinschaften befassen sich auf verschiedenen Wegen mit der Frage, wie Ökonomie nachhaltig funktioniert. Also, wie kann nachhaltig gewirtschaftet werden, ohne dabei die Erde zu zerstören? Da gibt es ganz viele Ansätze mit denen GEN, beziehungsweise die einzelnen Gemeinschaften arbeiten und wo teilweise ganze Dörfer bereits wiederbelebt und bewohnbar gemacht wurden.
3) Das Ökologische = Widmet sich dem Thema, wie wir mit der Natur umgehen und mit ihr in Beziehung stehen. Da ist die ökologische Landwirtschaft, beziehungsweise, ökologische Landnutzung ein Stichwort, darunter z.B. Permakultur. Auch hier finden sich ähnliche Fragen, wie wir uns ernähren können, ohne dabei die Erde zu zerstören, ohne alles mit Pestiziden und Genmanipulation zu überschütten?
4) Das Kulturelle = Diese Säule beschäftigt sich mit der Weltansicht, Religion und Spiritualität. Wie sehen wir die Welt? Wie sehen wir uns selbst als Welt? Wie sehen wir uns als Gemeinschaft und was für Möglichkeiten gibt es da? Wie können wir in einer individualisierten Gemeinschaft mit Respekt für andere Weltanschauungen leben?
Was hat Dich, während Deines Aufenthaltes, am meisten berührt?
Also, ich glaube, am meisten interessiert hat mich das Menschliche.
Die 600 Teilnehmer bei der Konferenz, die doch alle sehr unterschiedlich waren und gleichzeitig alle für eine nachhaltige, regenerative Zukunft arbeiten und forschen. Diese kamen aus verschiedenen Ländern und Kontexten und haben verschiedene Ansätze mitgebracht. Die Art des Zusammenkommens, also diese Energie die sie gebildet haben, war einfach sehr Gänsehaut-erregend.
Da waren so viele spannende Menschen aus der ganzen Welt. Es waren Wissenschaftler da, es waren Professoren da, es waren Gemeinschaftsmitglieder da, es waren viele junge Menschen da. Alle waren offen und haben gesagt: „Hier gibt es Möglichkeiten. Wir forschen gerade daran. Woran forscht ihr?“ Dieser Austausch, ganz einfach, der dort statt gefunden hat, der hat mich sehr fasziniert.
Und ja, diese geballte Kraft an, jetzt wollte ich beinahe schon sagen, Visionären. Es sind nicht nur Visionäre, es sind auch keine Hippies, sondern das Ganze hat „Hand und Fuß“. Es gibt nicht nur irgendwelche „Visionen und Theorien“ und es ist nicht nur „Singen und Klatschen“. Sondern, dass was da gemacht wird, was da geprobt, geforscht und gelebt wird, ist sehr nachhaltig in dem Sinne, dass es fundiert ist und funktioniert.
Was macht GEN ? Was kann GEN Deiner Meinung nach? Wofür ist es gut?
GEN führt dazu, dass Gemeinschaften auch eine Stimme bekommen auf strukturellen Ebenen, in Parlamenten zum Beispiel, und das sie nach außen wirken. Also, dass das, was in den Gemeinschaften passiert, die Erfahrungen die dort gemacht werden, nach außen getragen werden und dass es das Umfeld der Gemeinschaft auch mit-verändern kann. Das heißt, dass die Gemeinschaften nicht irgendwelche Hippies, Sekten oder Inseldörfer sind die in ihrer eigenen Blase leben, sondern, dass sie ein aufgeschlossenes, zukunftsorientiertes Zusammenkommen von Menschen sind.
Warum warst du eigentlich bei der Konferenz?
Meine Vision ist es, nachhaltige, lebenswerte und zukunftsfähige Alternativen zu kommunizieren und zu verbreiten. Deshalb bin ich nach Estland zur Konferenz gefahren, um das GEN Netzwerk und die Möglichkeiten die es bietet kennen zu lernen. Um dort Videoaufnahmen zu machen und inspirierende Interviews zu führen. Daraus soll Anfang 2019 eine kurze Dokumentation entstehen, die wir in den gängigen sozialen Plattformen veröffentlichen werden. Auch die kompletten Interviews werden für Menschen, die dieses Filmprojekt unterstützen wollen, bereitgestellt.
Welche Sprecher, Interviewpartner/innen, haben Dich besonders beeindruckt?
Wir haben Interviews geführt, z.B. mit Kosha Anna Joubert, einer Südafrikanerin mit einer spannenden Lebensgeschichte. Sie lebt jetzt in dem Gemeinschaftskontext und arbeitet auch bei GEN. Sie hat das Netzwerk jahrelang geformt und ist weltweit in verschiedenen Projekten tätig. Das ist ganz spannend, wie sie weltweit reist und auch mit Regierungen zu tun hat, mit Verantwortungsträgern und da mittlerweile viel umsetzt und bewegt. Wir haben auch mit Robert Hall gesprochen, der ebenfalls weltweit tätig ist für die OSZE sowie für ECOLISE. dem europäischen Netzwerk für gemeinschaftlich-geführte Initiativen zum Klimawandel und zur Nachhaltigkeit. Oder auch mit Rupert Encinas (Eagle Flying), einem nativen Einwohner aus Arizona, sprachen wir. Er gab uns einen atemberaubenden Eindruck in seine alten Traditionen und Weisheiten.
Ein weiteres Interview war mit Albert Bates, dem Gründer einer großen Gemeinschaft in den USA genannt “The Farm”. Er ist Autor und Rechtsanwalt, der schon mehrere Konzerne erfolgreich wegen Umweltverschmutzung verklagt hat.
Wir hatten auch ein Interview, das hatte mich besonders fasziniert, mit Jonathan Dawson. Er unterrichtet „Sustainable Economics“ am Schumacher Collage in Devon, England. Für mich war es sehr bewegend, weil er sehr kraftvoll und mit sehr, sehr viel Gefühl gesprochen hat. Wenn er Ökonomie lehrt, zeigt er seinen Studenten und Schülern auch, dass das Wichtigste an der Ökonomie die Verbundenheit mit der Natur ist. Das fand ich so ganz spannend zu merken: wenn wir über Wirtschaft reden, dann ist das häufig entkoppelt von Ökologie, abgekoppelt von Natur. Eigentlich ist diese Verbindung total wichtig. Er geht mit seinen Studenten wirklich raus in den Wald und unterrichtet da zum Beispiel. Das fand ich sehr bewegend, dass es da pädagogisch nachhaltige Ansätze gibt wie Gaia Education – eine andere Form von Lernen und Lehren. Das es mittlerweile verschiedene Universitäten in Europa gibt, die diese Prinzipien anwenden und das neue Studiengänge gegründet werden, wo Prinzipien auf Grundlage der vier Säulen der Nachhaltigkeit angewendet werden.
Mehr Informationen zu GEN findest Du unter www.ecovillage.org
und zu GEN Europe unter www.gen-europe.org
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